6.500 Menschen sind heute in Berlin gegen Überwachung auf die Straße gegangen. Auch wir von der Kampagne ausgeschnüffelt waren dabei. Dies war unser Redebeitrag:
Edward Snowden erklärte vor einem Jahr: „Mehr als Gefahren für Leib und Leben fürchte ich, dass
die Aufdeckung des Überwachungsskandals tagespolitisch im Sande verläuft.“ Wenn man sich
ansieht, was unsere Regierung seitdem getan hat, läuft es aber darauf hinaus: stillhalten und warten,
bis Gras über die Sache gewachsen ist. Das No-Spy-Abkommen mit den USA, das Merkel forderte:
gescheitert. Diplomatische Gespräche mit den Freunden in den USA: ohne Ergebnis. Den
Datenschutz auf EU-Ebene voran treiben: wo sind die Fortschritte? Dass nicht das gesamte
Parlament schläft, merken wir daran, dass es einen NSA-Untersuchungsausschuss gibt. Hier müssen
die Regierung und die Geheimdienste zumindest Rede und Antwort stehen, auch wenn mit neuen
Erkenntnissen nicht zu rechnen ist. Die große Koalition aber scheint in einen Tiefschlaf gefallen.
Lasst uns an diesem Samstag Nachmittag noch einmal in dieses tief schlafende Regierungsviertel
rufen: Aufstehen statt Aussitzen!
Eine Antwort gibt es von Merkel und Co auf die Spähaffäre: Die Kanzlerin will mitspielen im
globalen Wettrüsten der Geheimdienste. Im nächsten Jahr will sie den Etat des BND um ¼ erhöhen
auf über 600 Mio €. Damit dieser Datenflüsse der sozialen Netzwerke in Echtzeit abgreifen kann
nach dem Vorbild von NSA und dem britischen Geheimdienste GCHQ. Beim Inlandsgeheimdienst
sollen laut IT-Sicherheitsgesetz 55 neue Stellen geschaffen werden. Aufrüsten statt Abschalten der
Geheimdienste – das ist die Antwort der Regierung auf den Überwachungsskandal!
Letzte Woche hat die Bundesregierung ihre „digitale Agenda“ vorgestellt. Sie soll das Vertrauen der
Bürger/innen in digitale Kommunikation stärken. Doch wenn man genau liest, dann verspricht die
Agenda neue Abhörwerkzeuge für den Inlandsgeheimdienst. Und erwähnt die massenhafte
Ausspähung der Geheimdienste weltweit und die Enthüllungen Edward Snowdens mit keinem
Wort. Merkel und de Maiziere machen keinen Finger krumm, um uns vor der massiven
Überwachung unserer Privatssphäre zu schützen. Nein, sie päppeln ihre Geheimdienste mit
Millionen an Steuergeldern und wir Bürger/innen bezahlen für unsere eigene Überwachung. Das ist
absurd!
Dabei sind die deutschen Geheimdienste keinen Deut besser als ihre Pendants aus anderen Ländern.
Wenn der BND türkische Politiker abhört und US-Außenminister Kerry, kann sich Frau Merkel
dann noch beschweren, dass die NSA an ihrem Handy lauscht? „Aber davon haben wir ja nichts
gewusst!“, meldet sich das Parlamentarische Kontrollgremium. Ja, von was für einer Kontrolle
sprechen wir denn hier? Blinde Wächter ohne Schwert, dass sind die deutschen
Geheimdienstkontrolleure. Sie befassen sich nur mit dem, was die Geheimdienste ihnen über ihre
Arbeit berichten – und das ist offensichtlich sehr lückenhaft. Sie tagen im Geheimen und dürfen der
Öffentlichkeits nichts über ihre Arbeit sagen. Eine transparente Kontrolle sieht anders aus!
Nicht nur der BND dreht frei, auch der Inlandsgeheimdienst mit dem so unpassenden Namen
„Verfassungsschutz“. Der Thüringer Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden spricht in
seinem Abschlussbericht das aus, vor dem niemand mehr die Augen verschließen kann: über den
Inlandsgeheimdienst besteht der „Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens
des Auffindens der Flüchtigen“. Das heißt: Der Geheimdienst hat die mordenden Nazis gedeckt und
gewarnt, er hielt seine schützende Hand über sie. Dieser Geheimdienst ist eine Gefahr für die
Verfassung. Er ist nicht kontrollierbar und nicht reformierbar. Da hilft nur eins: Verfassungsschutz
abschaffen!
Die Humanistische Union fordert als älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation schon seit langem
die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes. Vor Kurzem haben wir unsere Kritik in einem
Memorandum zusammen gefasst. Und wir haben die Kampagne „ausgeschnüffelt“ ins Leben
gerufen, die mit Aktionen zum Mitmachen unsere Forderung in die Öffentlichkeit trägt und von
Überwachung Betroffenen eine Stimme verleiht. Ihr könnt unser Anliegen unterstützen, indem ihr
unseren Aufruf unterzeichnet und euch auf unserer Seite informiert: www.ausgeschnueffelt.de.
Und natürlich sind wir nicht die einzigen. Im Post-Snowden-Zeitalter wächst im ganzen Land die
Empörung gegen Überwachung. Große Demos gab es z.B. in Bad Aibling, wo die Abhörstation von
BND und NSA steht, in Köln und bundesweit formiert sich das Bündnis #StopWatchingUs.
Tausende forderten „ein Bett für Snowden“. Menschen, die sich noch nie mit Datenschutz und Open
Source beschäftigt haben, gehen plötzlich zu Cryptoparties und lassen sich zeigen, wie man E-Mails
verschlüsselt und welche alternativen Programme man nutzen kann. Und morgen trifft sich die
Bewegung erstmals zu einem Forum gegen Überwachung hier in Berlin, um neue Pläne für den
Widerstand gegen die Massenüberwachung zu schmieden. Ich hoffe, ihr seid alle dabei!
Mir macht das Hoffnung. Hoffnung, dass wir unsere Grundrechte verteidigen können gegen den
Überwachungswahn. Dass wir die Demokratie hochhalten können gegenüber den Geheimdiensten,
die in jeder Demokratie einen Schandfleck darstellen. Dass wir in Freiheit leben können, denn wer
überwacht wird, ist niemals frei. Wir sind heute hier und wir sind viele. Und wenn der nächste
Skandal kommt, wenn die Regierung uns mit Vorratsdatenspeicherung kommt, mit neuen
Datenpools von Polizei und Geheimdiensten und mit neuen Millionen für die Geheimdienste, dann
können sie sich sicher sein, dass wir wieder auf der Straße sein werden. Unser Protest ist groß und
vielfältig. Und wir sprechen mit einer Stimme, wenn wir sagen: Wir lassen uns nicht länger
bespitzeln. Stop watching us! Wir wollen Freiheit, ihr sät Angst. Freiheit – statt Angst!
Astrid Goltz/ Humanistische Union