Verfassungsschutzberichte: Hoheitliche Verrufserklärungen – etwas mehr Kontrolle

Udo Kauß

Die islamische Glaubensgemein­schaft Milli Görüs konnte sich vor Gericht erfolgreich gegen falsche Tatsachenbehauptungen im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht 2001 wehren. Die Verfassungsschützer hatten sich geweigert, dem Gericht diejenigen Unterlagen vorzulegen, aus denen die Gefährlichkeit von Milli Görüs hervorginge.
Nach ihrer Ansicht müsse eine schlichte Behördenerklärung, ein sogenanntes Behördenzeugnis, dem Gericht zum Beweis der Richtigkeit sei­ner Behauptungen ausreichen. Dem ist das Bundesver­waltungsgericht erfreulicherweise nicht gefolgt und hat damit dem VS die Möglichkeit genommen, durch eine Sperr-Erklärung den Umfang seiner Beweispflicht selbst zu steu­ern.

Die Behörden des Verfassungsschutzes nehmen einen promi­nenten Platz in der Berichterstattung des Grundrechte-Reports ein. Im Grundrechte-Report 2008 berichtete Sönke Hilbrans über den leider am Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) ge­scheiterten Versuch, sich gegen unrichtige Behauptungen des Verfassungsschutzes zur Wehr zu setzen. Das Bundesverwal­tungsgericht hatte dem Bürger die Beweislast für die Unrichtig­keit der Aussagen des Verfassungsschutzes aufgebürdet.

Von diesem Freibrief für den Verfassungsschutz setzt sich wohltuend die Entscheidung des 6. Senats des Bundesverwal­tungsgerichts vom 4. September 2008 ab (Az. 6 C 13.07). In dem Rechtsstreit hatte sich die islamische Glaubensgemein­schaft Milli Görüs gegen Tatsachenbehauptungen im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht 2001 gewehrt. Die dort gemachten Tatsachenbehauptungen seien unrichtig und würden ein negatives Werturteil über die Vereinigung ent­halten. Im Rechtsstreit wollte der Verfassungsschutz die Bewei­se für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Tatsachen­behauptungen nicht vorlegen. Die Folge: das Bundesver­waltungsgericht untersagte dem Verfassungsschutz, die im Ver­fassungsschutzbericht aufgestellten Tatsachenbehauptungen weiter zu verbreiten.

Eigentlich selbstverständlich: Wer etwas behauptet, sollte das auch beweisen

Das Bundesverwaltungsgericht hat durchaus die Schwierigkei­ten berücksichtigt, denen sich der Verfassungsschutz gegenüber sieht, wenn er den Beweis für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht meint erbringen zu können, weil die entsprechenden Akten geheimhaltungsdürftig seien und deshalb nicht Gegenstand des Verfahrens werden könnten. Genau dies war im zugrundeliegenden Fall gegeben: Das Innenministerium hatte durch eine sogenannte Sperr-Er­klärung die Vorlage der Akten an das Verwaltungsgericht un­ter Hinweis auf deren Geheimhaltungsbedürftigkeit verwei­gert. Diese Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten hat das Bundesverwaltungsgericht sogar ausdrücklich bestätigt.

Mit dieser Entscheidung im Rücken meinte der Verfassungs­schutz, dass eine schlichte Behördenerklärung, ein sogenanntes Behördenzeugnis, dem Gericht zum Beweis der Richtigkeit sei­ner Behauptungen ausreichen müsse. Dem ist das Bundesver­waltungsgericht nicht gefolgt und hat damit den Verfassungs­schutzbehörden die Möglichkeit abgeschnitten, durch Abgabe einer Sperr-Erklärung den Umfang ihrer Beweispflicht zu steu­ern. Die vom Verfassungsschutz geforderte Beweislastumkehr wurde zu Gunsten einer Zivilisierung des Verhältnisses von Verfassungsschutz und Bürgern zurückgewiesen.

Dieser Lichtblick wird von derselben Verfassungsschutzbe­hörde wieder verdunkelt durch handwerkliche Inkompetenz und ideologische Verhaftetheit in alten Feindbildern. Im Ver­fassungsschutzbericht 2007 des baden-württembergischen Ver­fassungsschutzes werden die » Jungedemokraten / Junge Linke« (JD / JL) als »linksextremistische Strukturen« bezeichnet, die auf »viele weitere Jahrzehnte gute Zusammenarbeit« mit der angeblich linksextremistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (WN-BdA) hoffen wür­den. Die JD / JL also als Linksextremisten im Verfassungs­schutzbericht — kein Ausrutscher, denn jede Aufnahme in den öffentlichen Tätigkeitsbericht erfolgt erst nach sorgfältiger Prüfung durch das vorgesetzte Innenministerium.

Wie werde ich eine »linksextremistische Struktur«?

Was war geschehen, damit sich eine Vereinigung als »linksex­tremistische Struktur« im Verfassungsschutzbericht wiederfindet? Mit fatalen Folgen, denn die staatliche Unterstützung für Jugendorganisationen wird eingestellt, wenn eine Organi­sation als »linksextremistisch« gilt.

Die Auskunftsanfragen der Vorstände der JD / JL ergaben: der Verfassungsschutz Baden-Württemberg führt über keine Vorstände der JD / JL irgendwelche Informationen. Allein die Tatsache, dass ein vormaliges Mitglied des Landesvorstandes Berlin der JD / JL ein siebenzeiliges Grußwort für die Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der WN-BdA geschrieben hat, in dem er auf »viele weitere Jahrzehnte guter Zusammenarbeit« hofft, hat dem Verfassungsschutz in Baden-Württemberg ge­reicht, die JD /JL nicht nur zu einer linksextremistischen Orga­nisation zu machen, sondern dies auch noch warnend in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen. Dass sich die JD /JL in bester demokratischer Gesellschaft befanden, hat den Verfas­sungsschutz nicht angefochten. Unter den sechzig Organisatio­nen und Personen des öffentlichen Lebens dieser Republik, die Grußadressen an den WN-BDA gerichtet haben, finden sich etwa Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Andrea Nahles (SPD) und Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen).

Angesichts dieser Faktenlage bedurfte es nur eines Schrei­bens an den Verfassungsschutz, damit die Passage sofort aus dem online gestellten Tätigkeitsbericht 2007 gestrichen und selbiges für die unmittelbar bevorstehende Druckfassung zuge­sagt wurde. Dieses Ergebnis kann nicht die Sorge überdecken darüber, mit welcher Leichtfertigkeit Personen und Vereinigun­gen in das Beobachtungsfeld und schließlich in die öffentlichen Verrufserklärungen des Verfassungsschutzes gelangen können. Es drängt sich der Eindruck auf, dass beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg weiterhin das Bedrohungsbild des Kalten Krieges gepflegt wird.

Dass bei Verfassungsschutzbehörden rechtskräftige Urteile nicht zur Kenntnis genommen werden, wenn sie nicht ins Kal­kül passen, bestätigt der weitere Fortgang des Verfahrens. Auf die Anfrage, ob der Verfassungsschutz nicht aufgrund der eingestanden rechtsfehlerhaften Aufnahme der JD / JL in den Ver­fassungsschutzbericht zumindest die Kosten der anwaltlichen Tätigkeiten übernehmen würde, meinte das Amt, dass doch gar kein Grundrechtseingriff vorgelegen habe. Gerade das Ge­genteil hatte das Bundesverwaltungsgericht im Urteil in Sachen Milli Görüs nur Tage zuvor dem baden-württembergischen Verfassungsschutz klarzumachen versucht: Nämlich, dass die Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht als »negative Sanktion« des Staates ein Grundrechtseingriff sei. Schon wieder vergessen!?

Die geschilderten Fälle mögen gut ausgegangen sein, bestäti­gen aber sämtliche Zweifel am Nutzen und der Legitimation solchermaßen ideologisch eng und handwerklich schlecht ar­beitender Verfassungsschutzbehörden.

 

aus: Grundrechte-Report 2009, S. 181-184

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