Engagierte Bürgerinnen und Bürger unter Beobachtung

Florian Rödl

In seiner aktuellen Selbstdarstellung gibt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz geläutert: Wer radikale politische Ansichten äußere, sei nicht automatisch ein Extremist und damit ein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz. Eine genauere Lektüre des Verfassungsschutzberichtes zeigt jedoch, dass sich hinter der Fassade nicht viel getan hat in Sachen Meinungsfreiheit und Pluralismus.

Antidemokratische Verrufserklärung durch die Verfassungsschutzämter

Seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1997 hat der Grundrech­te-Report stets auch seinen erklärten Widerpart, die Verfassungs­schutzberichte der Bundes- und Landesämter für Verfassungs­schutz, im Visier. Die jährlichen Berichte wurden dabei mehrfach treffend und begründet als »hoheitliche Verrufserklärungen« charakterisiert, die inhaltlich unerwünschtes demokratisches En­gagement von Bürgerinnen und Bürgern verunglimpfen und be­schädigen.

Besucht man heute die Internetseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz, liest man in der Selbstdarstellung einige Zeilen, die aufmerken lassen. Zur Erklärung, was denn verfas­sungsfeindliche »Bestrebungen« seien, denen sich das Bundes­amt für Verfassungsschutz zu widmen hat, heißt es wohl abge­wogen: »Die Gesinnung politisch Andersdenkender; die sich darin äußern kann, dass z. B. jemand mit Begeisterung kom­munistische Literatur liest oder die Bundesregierung kritisiert, berührt den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden nicht.« Über den Begriff des Extremismus wird ausgeführt, über ihn bestünde »… oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häu­fig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z. B. Kapitalismus­kritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radika­le politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Ge­sellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radi­kalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsord­nung anerkennt.« – Würde sich das Bundesamt für Verfas­sungsschutz tatsächlich nach diesen Ausführungen richten, wä­ren einige Ärgernisse der jüngeren Vergangenheit für die Zukunft ausgeschlossen. Zum Beispiel die Inkriminierung des Bundesausschusses Friedensratschlag, weil – wie das Innenmi­nisterium auf Anfrage erläuterte – seine konsequent pazifisti­schen Auffassungen im Widerspruch zur neuen Außenpolitik der Bundesregierung stünden, zum Beispiel die Verunglimpfung der JungdemokratInnen / Junge Linke als Linksextremisten, weil sie in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung (die die Verfassungsschützer beharrlich nur unter dem Titel »marktwirtschaftliche Ordnungssysteme« kennen) die Ursache für fundamentale Demokratiedefizite ausmachen.

Korrekturen der Fassade

Aber bei den zitierten Passagen auf der Internetseite handelt es sich offenbar nur um Korrekturen der Fassade. Bereits Einträge an anderer Stelle auf der Internetseite dokumentieren das ungebrochene Verständnis des Bundesamtes davon, wem es sich zu widmen habe. Unter der staatsbürgerkundlichen Erläu­terung von »Linksextremismus« heißt es wie seit langem: »Die extremistische Linke hat es immer wieder verstanden, sich als eine politische Bewegung darzustellen, die in aufklärerischer Tradition stehe und radikal im besten Sinne sei, nämlich radikaldemokratisch. Sie gibt vor, gegen Unterdrückung und illegitime Herrschaft zu kämpfen. Sie behauptet Frieden und so­ziale Gerechtigkeit als Ziel, aber ihre gewalttätigen Vertreter riskieren furchtbares Unglück bei Sabotageakten auf den Bahnverkehr, sie sprengen Strommasten, manche rechtfertigen sogar die Tötung von Menschen. « – So sind alle aufklärerisch Engagierten erst einmal unter Verdacht gestellt. Jeder, der sich gegen illegitime Herrschaft und Unterdrückung, für Frieden und so­ziale Gerechtigkeit einsetzt oder sich gar Radikaldemokrat nennt, könnte ein Mordgehilfe sein. – Diese Auffassung soll of­fenbar in der Bevölkerung Verbreitung finden. Und nichts be­wahrt davor, dass sie auch der täglichen Schutzarbeit der Äm­ter methodisch zugrunde liegt.

Antikriegsbewegung im Visier

Auch der jüngste Bericht des Bundesamtes für Verfassungs­schutz von 2003 folgt den vertrauten Pfaden. Wie stets werden nicht nur »extremistische« Organisationen und Medien vorge­stellt, sondern auch ein Überblick über »Aktionsfelder« vorgeb­lich verfassungsfeindlicher Kräfte gegeben. Diesmal werden »Anti-Kriegsbewegung«, »>Antirassismus< und >Antifaschis­mus<«, eine »Kampagne von Linksextremisten gegen Kernener­gie« sowie die »Antiglobalisierungsbewegung« aufgeführt. Dabei wird allein durch die Form der Darstellung unter der Hand die gesamte je genannte soziale Bewegung diskreditiert. Die Art der Berichterstattung im Einzelnen trägt ebenfalls zu diesem Ef­fekt bei. Zum Beispiel hat der Verfassungsschutz über die Anti­kriegsbewegung im Wesentlichen herausgefunden: »Im Mittelpunkt stand Kritik an der amerikanischen Regierung und ihren Verbündeten. Sie richtete sich besonders gegen die Bekämpfung des internationalen Terrorismus einschließlich angeblicher >Re­pression< nach innen und gegen eine militärische Intervention im Irak.« — Es bleibt den Lesern überlassen zu sortieren, ob be­reits die Position der Bewegung verfassungsfeindlich sein soll, oder ob sie nur deswegen wiedergegeben wird, weil sie auch von zuvor amtlich identifizierten »Linksextremisten« vertreten werden. Ähnlich verfährt der Bericht mit den Globalisierungs­kritikern. Schon die abweichend formulierte Überschrift »Ent­wicklung der >Anti-Globalisierungsbewegung<« unter der Ru­brik »Linksextremismus« lässt verschwimmen, ob es um ein Tätigkeitsfeld von »Linksextremisten« geht oder um eine insge­samt als »linksextremistisch« eingestufte Bewegung. Über ihren Jahreshöhepunkt, das Europäische Sozialforum in Florenz, teilt der Bericht mit, es sei über die »Auswirkungen der so genann­ten neoliberalen Globalisierung und über Perspektiven ihrer Überwindung« diskutiert worden. Die beim Amt gefühlte Rechtfertigung, diese Schilderung aufzunehmen, war augen­scheinlich, dass das Sozialforum von italienischen Kommuni­sten unterstützt worden sei und eine deutsche trotzkistische Gruppe (Linksruck) sich in einer Postille über den Erfolg des Sozialforums gefreut habe. Namentlich letztere Mitteilung ist offenbar ridikül, aber sie arbeitet mit an der eigentlichen Bot­schaft des Textes, es sei verfassungsschützlerisch bedenklich, von »neoliberaler Globalisierung« auch nur zu sprechen und erst recht, ihre negativen Auswirkungen überwinden zu wollen. Nur wenn man den Berichtsabschnitt so liest, wird auch ver­ständlich, dass das Bundesamt die Leser abschließend noch zu beruhigen versucht und anmerkt, dass die globalisierungskriti­sche Bewegung in Deutschland bislang nicht recht Fuß fassen konnte.

Jenseits der Konsensbreite

Die »hoheitlichen Verrufserklärungen« der Ämter für Verfas­sungsschutz sind von verfassungspolitischem Gewicht. Wo Ver­fassung und Gesetzesrecht gerade keine Handhabe zum Einschreiten bieten, verunglimpfen die Berichte Bürgerinnen und Bürger öffentlich, die ihre verfassungsrechtlichen Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, auf Demonstrationsfreiheit und Vereinigungsfreiheit in Anspruch nehmen. Eine Abteilung der Exekutiven also wählt Personen, Organisationen und Politik­felder aus, die jenseits der erwünschten gesellschaftlichen Konsensbreite liegen, und klagt die Akteure mit dem Nimbus regierungsamtlicher Richtigkeitsgewähr öffentlich als Verfas­sungsfeinde an. Den Betroffenen werden auf diese Weise emp­findliche Nachteile und Beschädigungen zugefügt, die sich teilweise im Verhältnis zu staatlichen Stellen (Berufsverbote, Entzug staatlicher Förderung), immer aber in der gesellschaftli­chen Sphäre niederschlagen, allein schon indem sich die Betrof­fenen in der Öffentlichkeit dieser regierungsamtlichen Anklage immer wieder zu erwehren haben, Zusammenarbeit aufgekün­digt oder Unterstützung entzogen wird. Im Namen eines perma­nent erforderlichen Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung werden Grundrechte nach dem Gutdünken ei­ner regierungsamtlichen Abteilung verkürzt. Eine solche Grund­rechtsgewährleistung ist ihrer Form nach derjenigen einer Notstandsordnung ähnlicher, als es eine demokratische Verfassung zulassen dürfte.

Die Verantwortung der Parlamentarier

Vielleicht sollte man einmal gewärtigen, dass es hierfür auch eine politische Verantwortung gibt. Sie liegt zunächst bei Innenminis­ter Otto Schily und den Staatssekretären, von denen man nur hoffen mag, sie seien für bürgerrechtlich-demokratische Argu­mente noch empfänglich. Die politische Verantwortung liegt aber auch bei den Fraktionen im Parlament, insbesondere den Innen- und Rechtspolitikern der Regierungskoalition. Jeder Ver­fassungsschutzbericht wird vor seiner Veröffentlichung im In­nenausschuss vorgestellt und beraten. Die Parlamentarier sollten die Verfassungsschutzberichte nicht nur im Ausschuss kritisie­ren — sie sollten endlich einmal gegen die maliziöse Form der Be­richterstattung öffentlich angehen.

Schließlich beschädigen die hoheitlichen Verrufserklärungen der Verfassungsschutzämter nicht nur die betroffenen Bürgerin­nen und Bürger. Sie beschädigen auch die demokratische Verfassung der Bundesrepublik. Sie ist nicht nur für ihren Fortbe­stand auf die vitale Ausübung dieser demokratischen Freihei­ten angewiesen. Sie will sich doch gerade durch die effektive Gewähr dieser Freiheiten vor anderen politischen Systemen auszeichnen.

 

aus: Grundrechte-Report 2004 , S.138-143

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