Verfassungsschutz an Schulen?

Wie der Geheimdienst unzulässig politische Bildungsarbeit betreibt

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Immer häufiger geht der Inlandsgeheimdienst an Schulen. Einhellige Begründung der zuständigen Landesregierungen: Er betreibe notwendige Informationsarbeit über Gefährdungen der Demokratie. In Wirklichkeit macht er sich im Bereich der politischen Bildungsarbeit breit – was in keiner Weise seinen gesetzlichen Aufgaben entspricht. Antworten auf parlamentarische Anfragen belegen den Umfang und die fragwürdigen Begründungsmuster seines relativ neuen Arbeitsfeldes.

Tatort Berlin: Schon unter Palendas zurückgetretener Vorgängerin Claudia Schmid hatte der Inlandsgeheimdienst der Hauptstadt die Schulen im Blickfeld: 2010 war er an drei und 2011 an vier Schulen mit „Vorträgen“, „Unterrichtsgesprächen“ und „Diskussionsrunden“ zu seiner „Arbeitsweise“, zum „Rechtsextremismus“ und zu „Extremismusfeldern“ präsent.1 Drei Schulbesuche fanden im Jahr 2012 statt – jetzt kam der „Salafismus“ als Thema hinzu. 2013 waren es dann vier Auftritte. 2014 rückte der „Islamismus“ in den Vordergrund. Im selben Jahr stellten sich MitarbeiterInnen des Geheimdienstes in sechs „Informationsveranstaltungen“ an fünf Berliner Schulen vor die Klasse – durchschnittlich erreichten sie jeweils ca. 25 SchülerInnen. Eine weitere Veranstaltung richtete sich an „ca. 50 Lehrkräfte“, womit der Berliner Verfassungsschutz an die Praxis in anderen Bundesländern anknüpft und die Multiplikatorenfunktion von LehrerInnen ausnutzt.

Besondere Regelungen wie hausinterne Leitlinien oder Dienstanweisungen existieren für diese Form der “Öffentlichkeitsarbeit“ nicht. „In der Regel“ handele es sich um „Power-Point-gestützte Informationsvorträge mit anschließender Diskussion“.2 Die ReferentInnen des Geheimdienstes „verfügen entweder über eine fachbezogene akademische Ausbildung oder kommen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung“3. Die „Informationsveranstaltungen“ für SchülerInnen wurden laut Innensenator „ausschließlich”4 und neuerdings “grundsätzlich für Jugendliche ab der Jahrgangsstufe 10 durchgeführt“5. Sein kostenloses „Angebot […], das interessierte Lehrerinnen und Lehrer in Anspruch nehmen“ können, bewirbt der Berliner Verfassungsschutz auf seiner eigenen Homepage sowie auf der „Kommunikationsplattform ‚SchulePlus’“6, wo laut eigener Angaben7 externe Partner interessierte Lehrkräfte auf direktem Weg erreichen.

Gerechtfertigt wird die geheimdienstliche Präsenz an Schulen mit dem Auftrag zur Unterrichtung der Öffentlichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Verfassungsschutzgesetzes. Es handele sich nicht um „politische Bildung“, sondern um die Bereitstellung „präventiver Angebote zum Schutz vor extremistischen Bestrebungen und zur Stärkung der freiheitlich demokratischen Grundordnung.“8

Dass Öffentlichkeitsarbeit stets interessengeleitet ist – im Gegensatz zu politischer Bildung, die Distanz zum Gegenstand bewahrt und das Urteilen offenlässt – vernebeln Verfassungsschutz und Senatsverwaltung. Sie schieben die Verantwortung für die Inhalte der Geheimdienstauftritte der LehrerInnenschaft zu. Die „didaktische Einbettung der Informationsveranstaltung“ und die „Verantwortung zur Einhaltung der rechtlichen Vorschriften und der unterrichtlichen Grundsätze“ obliege „grundsätzlich“ den Lehrkräften. Auch die Einhaltung des Kontroversitätsgebotes, das seit dem „Beutelsbacher Konsens“ von 19769 eine der Leitlinien der politischen Bildung ist, liegt nach Meinung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft „in der Verantwortung der zuständigen Lehrkraft. Die Kontroversität sieht die Senatsverwaltung beispielsweise erfüllt „durch die Hinzuziehung verfassungsschutzkritischer Personen oder Organisationen oder auch durch Zurverfügungstellung entsprechender Materialien.“10

Auch in Brandenburg: angeblich keine Bildungsarbeit

Deutlich aktiver als in Berlin ist der Verfassungsschutz an den Schulen in Brandenburg. Auch dort wird Bildungstätigkeit mit dem Hinweis geleugnet, es ginge nur um „Aufklärung durch Information“. Diese findet bereits ab der 9. Klasse statt und richtet sich u.a. auch an SchülerzeitungsredakteurInnen und Auszubildende. In den Jahren 2012 und 2013 trat der Verfassungsschutz insgesamt 29 mal in Aktion – wobei in einem Fall der Schuldirektor mit seinen SchülerInnen dem Verfassungsschutz sogar direkt im Potsdamer Innenministerium einen Besuch abstattete.

Die angegebenen Themen der Veranstaltungen reichen von „Rechts- und Linksextremismus“, „Symbole des Rechtsextremismus“, über „rechtsextremistische Musik“, die „NPD“, „Neonationalsozialismus“, bis zu „Rechtsextremisten und Kampfsport“. Als spezielle Inhalte wurden bereits „Observation“, „Ausländerextremismus“, „Satanismus“, „Black Metall“ sowie „Islamistischer Extremismus“ behandelt.11

Im Rahmen schulischer Projekttage waren auch LehrerInnen und Eltern eine potentielle Zielgruppe des Geheimdienstes. Dabei setzt der Verfassungsschutz gelegentlich sein „Info-Mobil“ nebst Informationsstand ein. Zusätzlich lädt er die Schulen aus dem Raum Potsdam zu seinen „Fachtagungen“ ein. Landesweit erhält jede Schule jährlich einen Verfassungsschutzbericht. Mit dem Planspiel „Demokratie und Extremismus“12 betreibt der Geheimdienst zudem eine fragwürdige Einteilung in Demokraten und Extremisten, die willkürlich erscheint und seinen umstrittenen Extremismusbegriff – der beispielsweise menschenverachtende Meinungen der Mitte nicht erfasst – zementiert. Brandenburger Jugendorganisationen sehen das Treiben des Geheimdienstes in der Bildungs- und Jugendarbeit überaus kritisch.13

Sachsen-Anhalt: Vorträge mit „bildendem Charakter“ – aber keine Bildungsarbeit

Eine parlamentarische Anfrage ergab die Zahl von 83 Veranstaltungen des Verfassungsschutzes seit Juli 2010 in Sachsen-Anhalt – fünf davon an Schulen. Außerdem erfuhr die Öffentlichkeit durch ein Interview14 , dass der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, Jochen Hollmann, auch selbst Veranstaltungen an Schulen durchführt. Die kostenfreien „fachspezifischen Vorträge“ werden über die „eigene Internetpräsenz“ und „in themenbezogenen Informationsbroschüren“ angeboten. Mit unvergleichlicher Feinsinnigkeit rechtfertigt die Landesregierung von Sachsen-Anhalt die Schul-Aktivitäten ihres Geheimdienstes: „Die präventive Arbeit des Verfassungsschutzes hat damit neben der Information auch einen bildenden Charakter, stellt jedoch nicht eine Bildungsarbeit im Sinne des Bildungssystems dar.“15

Nordrhein-Westfalen: „Andis“ aus Fleisch und Blut treten auf

Mit den „Bildungscomics Andi“16hat der Verfassungsschutz ein zielgruppenorientiertes Format gefunden, um seine Botschaft von den angeblich gleichermaßen demokratie-gefährdenden Extremisten des linken, rechten und islamistischen Spektrums in die Klassenzimmer zu tragen. Dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auch in der Mitte der Gesellschaft vorhanden sind – das ist für den Geheimdienst ein weißer Fleck auf der Gefährdungslandkarte der Demokratie. Nordrhein-Westfalen ist mit 61 Schul-Veranstaltungen in den Jahren 2013/14 Spitzenreiter der untersuchten Bundesländer. Hier hatte der Verfassungsschutz bereits frühzeitig die Multiplikatorenfunktion von Lehrkräften erkannt und entsprechend zielgerichtet in die Ausbildungsinstitutionen eingegriffen. So finden seine Veranstaltungen „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ regelmäßig an Zentren für schulpraktische LehrerInnenausbildung statt.
Die „Aufklärungsveranstaltungen“ erfolgen zwar „grundsätzlich auf Einladung“; Ausnahmen gibt es allerdings bei „Tagungen und Modellprojekten, an denen sich der Verfassungsschutz als Mitorganisator beteiligt“17. Als Materialien kommen – je nach Zielgruppe – die „Bildungscomics Andi“, Verfassungsschutzberichte sowie diverse andere Broschüren zum Einsatz. Ähnlich wie in den anderen Bundesländern werden diese Geheimdienst-Aktivitäten mit dem Landesverfassungsschutzgesetz gerechtfertigt, wonach die Öffentlichkeit über Gefahren für die Demokratie „zu informieren und dadurch das gesellschaftliche Bewußtsein zu stärken“18 sei.

Fazit

Einer staatlichen Behörde wird häufig größere Seriösität und Objektivität zugemessen als manchem unabhängigen Beratungsangebot. Dabei wird allerdings übersehen, dass eine Behörde, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet, keine gesellschaftliche Diskursteilnehmerin wie andere sein kann. Der Zugang zu Geheiminformationen und damit einhergehende Möglichkeiten der Deutungshoheit, die politische Gruppierungen zu Extremisten erklären kann, macht den Geheimdienst zu einem „Fremdkörper innerhalb einer freien Gesellschaft“ – so der Politikwissenschaftler Dr. Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Eine kritische Diskussion muß Inhalte nachvollziehbar und hinterfragbar machen. Die Anforderung nach wissenschaftlich überprüfbaren Quellen erfüllt der Geheimdienst, dessen Quellen oft der Geheimhaltung unterliegen, aber gerade nicht. Die Winkelzüge der verschiedenen Verfassungsschutzämter, die pädagogische Verantwortung für ihr Auftreten in der Bildungsinstitution Schule zurückzuweisen und sich hinter Begriffen wie „Informationstätigkeit“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ zu verstecken, sollen unzulässige staatliche Eingriffe absichern und rechtfertigen. Sie sind jedoch einer offenen Gesellschaft unwürdig und gehören wie die Geheimdienste insgesamt abgeschafft.

Werner Koep-Kerstin und Heiko Stamer

  1. AGH-Drucksachen 16/15556 v. 8.8.2011, 17/11225 v. 17.12.2012, 17/12714 v. 12.12.2013, 17/13057 v. 25.2.2014, 17/13360 v. 14.3.2014, 17/13361 v. 19.3.2014 und 17/15254 v. 22.1.2015.
  2. Kleine Anfrage vom 27.7.2011, AGH-Drucksache 16/15556.
  3. Ebd.
  4. Kleine Anfrage vom 30.9.2013, AGH-Drucksache 17/12714.
  5. Kleine Anfrage vom 9.1.2015, AGH-Drucksache 17/15254.
  6. Ebd.
  7. www.schule-plus.de.
  8. Kleine Anfrage vom 9.1.2015, AGH-Drucksache 17/15254.
  9. www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens.
  10. Kleine Anfrage vom 6.3.2014, AGH-Drucksache 17/13360.
  11. Kleine Anfrage vom 28.3.2014, LT-Drucksache 5/8961.
  12. Grutzpalk, J.: Das Planspiel „Demokratie und Extremismus“ des Verfassungsschutzes Brandenburg, in: Grumke, T.; Pfahl-Traughber (Hrsg.): Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Framington Hills, 2010.
  13. Landesjugendring Brandenburg e.V.: Jugendbildung ist keine Aufgabe des Verfassungsschutzes, Beschluss des Hauptausschusses v. 28.2.2014.
  14. Interview der Sachsen-Anhalt Korrespondentin Vera Wolfskämpf v. 27.1.2015, MDR Info, http://www.mdr.de/sachsen-anhalt/verfassungsschutz-sachsen-anhalt-schulen100_zc-a2551f81_zs-ae30b3e4.html.
  15. Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 4.4.2014, LT-Drucksache 6/2996.
  16. Arbeitskreis Extremismusbegriff: Schulverweis für Andi! – Warum der Verfassungsschutz mit seiner Bildungsarbeit gegen „Extremismus“ scheitert, Unrast-Verlag, 2012.
  17. Kleine Anfrage vom 6.10.2014, LT-Drucksache 16/7672.
  18. Ebd.

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