Weg mit dem “ Verfassungsschutz “ ?!

Rolf Gössner

Wann endlich gewöhnen wir uns an, die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen und der herrschaftlichen Schönfärberei eine klare Absage zu erteilen? Zum Beispiel „Verfassungsschutz“. Immerhin ein bei der Mehrheit der Bevölkerung wohl noch immer positiv besetzter Begriff aus der Mottenkiste staatlicher Propaganda: Schutz der Verfassung, womöglich der „besten, die es je auf deutschem Boden gab“. Wer soll schon bei diesem hehren Wortgebilde auf den schnöden Gedanken kommen, es könne sich dabei um einen ganz ordinären Geheimdienst handeln, der – analog zum „Rostschutz“ – viel eher vor der Verfassung schützt, in erster Linie sich selbst und den Staat -, als jene Verfassung vor angeblichen „Verfassungsfeinden“?

Wie alle Geheimdienste ist auch der „Verfassungsschutz“ (VS) schon von seiner Konzeption her ein zwanghafter und notorischer Skandalproduzent. Das ist nicht nur in Berlin so, sondern das liegt in der Natur der Geheim-Sache. Die öffentliche Aufklärung solcher Skandale wird, ebenfalls zwangsläufig, systematisch mittels Geheimhaltungspflicht, Akten-Manipulationen und Unterdrückung von Beweismitteln hintertrieben. Das zeigen die Erfahrungen in Gerichtsverfahren, in die der VS involviert ist, aber auch aus parlamentarischen „Kontroll“ und Untersuchungsausschüssen.

Eine öffentliche Kontrolle findet also praktisch nicht statt, ja kann eigentlich auch gar nicht stattfinden gegenüber einer Institution, die geheim und abgeschottet arbeitet und zu deren auftragsgemäßer Kunstfertigkeit es gehört, ihre eigenen Machenschaften gewerbsmäßig zu verdunkeln.

Immer wieder sind es Strafverteidiger und Journalisten, die solche Ungeheuerlichkeiten unter großen Mühen wenigsten bruchstückhaft ans Licht der Öffentlichkeit zerren. Konnte Ende 1987 etwa „die Tageszeitung“ in Berlin enthüllen, daß die oppositionelle „Alternative Liste“, deren Mandatsträger sowie auch SPD-Abgeordnete bereits seit Jahren systematisch vom VS ausspioniert worden sind, so mußte eben diese Zeitung ein Jahr später berichten, daß sie selbst, ihre und auch andere Journalistinnen ebenfalls, jahrelang Objekte der VS-Begierden waren. Abgeordnetenstatus, Redaktions- und Postgeheimnis, Pressefreiheit und Anwaltsgeheimnis (wie im Fall Schmucker) – diese grundgesetzlich verbrieften Rechte wurden mit nachrichtdienstlichen Mitteln und Methoden, mit Telefon- und Postüberwachung, mit Lausch- und Spähangriffen, mit eingeschleusten V-Leuten ausgehebelt und suspendiert. Die zur öffentlichen Kontrolle des VS berufenen Organe und Personen wurden ihrerseits vom VS kontrolliert und ausspioniert.

Hüten wir uns aber vor der wohlfeilen Charakterisierung dieser für einen Rechtsstaat unerträglichen Vorkommnisse als bloße Skandale, Fehlentwicklungen (wie sie etwa von der Berliner SPD bezeichnet werden) oder gar als Berliner Spezialitäten: Es handelt sich nämlich keineswegs um gänzlich neue, besonders eklatante, verfassungswidrige Einzelfälle, nein, diese „Skandale“ haben auch bundesweit System. Das geht u.a. schwarz auf weiß aus zwei internen, bundesweit gültigen Richtlinien hervor, die als „VS (Verschlußsache) – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft sind (Eine detaillierte Auswertung findet sich in: Gössner, Widerstand gegen die Staatsgewalt – Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte, Hamburg 1988, S. 42ff: „Risikoprofile – Die ,Verkartung` des ,inneren Feindes‘; auszugsweise im Wortlaut dokumentiert in: »Geheim«, Köln 3/1987, S. 8ff. Inzwischen gibt es eine aktualisierte Fassung von Ende 1988, mit z.T. lediglich kosmetischen Veränderungen). In diesen Richtlinien, die uns vor geraumer Zeit zugespielt worden sind, ist detailliert die sogenannte „Verkartung von Personen“ im „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“ NADIS geregelt, die – so heißen die Zauberformeln – „Bündnisse mit Linksextremisten befürworten“ oder die „Träger“ von Bestrebungen gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ sind oder die einer „extremistisch beeinflußten“ Organisation angehören. Dabei werden ausdrücklich, neben „Funktionären demokratischer Organisationen“, die angeblich linksextremistisch beeinflußt werden (z.B. Parteien, Gewerkschaften), auch Rechtsanwälte und Journalisten sowie „sonstige Multiplikatoren“ als Beobachtungs- und Speicherobjekte für diverse Dossiers und Dateien genannt – nicht anders also, wie es in Berlin nun an einigen Beispielfällen publik geworden ist, und, folgt man diesen Richtlinien, wie es in den übrigen Bundesländern und auf Bundesebene ebenfalls systematisch praktiziert wird. Die bloße Möglichkeit „linksextremistischer Beeinflussung“, was immer das ist bzw der VS dafür hält, bietet dabei das Einfallstor, durch das der VS auch in die als „demokratisch“ eingestuften Organisationen“ einbrechen kann, um deren Mitglieder geheimdienstlich ausspionieren, entsprechend „verkarten“ (verdaten) und auf elektronischem Wege Risikoprofile erstellen zu können. Der „VS“, aber auch die anderen bundesdeutschen Geheimdienste und die Polizei liefern über ihr bereits geschaffenes herrschaftssicherndes Frühwarnsystem mit Hunderttausenden von Datensätzen, Persönlichkeitsprofilen und Bewegungsbildern ganzer Protestpotentiale letztlich das Fundament, auf dem eines Tages, in politisch noch härteren Zeiten zugespitzter sozialer Krisen, Oppositionelle, sonstige „Abweichler“ und ihre Multiplikatoren beliebig kriminalisiert und ausgeschlachtet werden können.

Der „Skandal“ hat also System, dessen interne Ausgestaltung und immanente Funktion den Schluß zulassen, daß der „Verfassungsschutz“, eben nicht nur in Berlin, insgeheim der größte Feind der Verfassung ist – einer Verfassung allerdings, welcher ausgerechnet dieser Verfassungsfeind im Namen einer sogenannt wehrhaften Demokratie selbstzerstörerisch ins nachfaschistische Nest gesetzt worden ist. Der „Skandal“ hat also auch Geschichte, einen historischen Hintergrund, der weit in die Anfänge der Bundesrepublik zurückreicht. An dieser Hypothek haben wir heute noch schwer zu tragen.

Ursprünglich sollten zwar – auf Veranlassung der West-Alliierten – insbesondere Polizei und Geheimdienste aufgrund der leidvollen Erfahrungen mit der jüngsten deutschen Geschichte entflochten und strikt voneinander getrennt werden (verfassungskräftiges Trennungsgebot); eine politische Polizei, eine Geheimpolizei mit exekutiven und nachrichtendienstlichen Befugnissen durfte es nicht mehr geben. Damit sollte das Wiederaufleben eines staatsterroristischen Sicherheitssystems nach dem Muster der berüchtigten Gestapo, der Geheimen Staatspolizei im Nationalsozialismus, von vornherein unterbunden werden. Doch diese Restriktionen währten nicht lange: Die mit Gründung der Bundesrepublik – im Zeichen des Kalten Krieges, der Renazifizierung von Staat und Gesellschaft, im Zeichen der Westintegration und Wiederaufrüstung – frühzeitig wiedereinsetzende, ungebrochene Einschwörung auf das neu-alte Feindbild „Kommunismus“, später „Linksextremismus“ und „Terrorismus“, ließ auch den historischen Blick für die immanenten Gefahren einer politische selektierenden und mächtigen staatlichen Sicherheitsbürokratie offenbar immer mehr verschwimmen. Bereits Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre erfolgte die Restauration einer vordemokratischen, konsequent auf Staatssicherheit bezogenen Polizei- und Geheimdienstkonzeption mit starken obrigkeitsstaatlichen Tendenzen. Die enge Zusammenarbeit zwischen „Verfassungsschutz“ und Polizei begann schon frühzeitig zu florieren und warf spätestens mit der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung, hinter der verfassungskonformen Fassade, das Trennungsgebot zumindest in Teilbereichen über den Haufen. Parallel hierzu wurde im Zuge einer forcierten Präventionsentwicklung innerhalb des Polizeiapparates ein Polizeiapparat mit Spezialabteilungen installiert, abgeschottet gegenüber dem normalen Polizeibetrieb und jeglicher öffentlichen, aber nicht selten auch innerbehördlichen Kontrolle entzogen. Mithilfe von nachrichtendienstlichen Mitteln und Methoden, die der Polizei eigentlich grundsätzlich versagt sind, wird weit im Vorfeld eines Straftatverdachts aktive Informationsbeschaffung betrieben mit dem Ziel der systematischen „Verdachtsgewinnung“ und „Verdachtsverdichtung“.

Die Polizei hat also inzwischen in ihren Händen exekutive und geheimdienstliche Machtmittel angehäuft. Mit dieser bereits illegal vollzogenen Kumulation ist innerhalb des Polizeibereiches das Trennungsprinzip praktisch aufgehoben und eine undemokratische Machtkonzentration voll zu Lasten bürgerlicher Freiheitsrechte eingeleitet worden. Damit hat sich die Polizei in gewisser Weise von den Geheimdiensten emanzipiert und zu einer neuen, verfassungswidrigen Geheim-Polizei entwickelt, wie sie ursprünglich zu Beginn der Bundesrepublik verhindert werden sollte. Gerade hier in diesem Bereich der „Inneren Sicherheit“ rächt sich nun, daß eine historisch angemessene Auseinandersetzung mit dem Faschismus und mit dem Staatsterrorismus nicht stattgefunden hat und entsprechende Konsequenzen letztlich nicht dauerhaft gezogen wurden.

Und nun werden wir jahraus, jahrein mit den schlimmen Folgen dieser fatalen Sicherheitsentwicklung konfrontiert, die gegenwärtig mithilfe der sog. Sicherheitsgesetze noch rechtlich abgesichert werden soll. Damit werden die Skandale, die dieses entwickelte System unablässig gebiert, praktisch legalisiert, der Verfassungsbruch wird zum Gesetz erhoben.

Es geht, das müssen wir zusammenfassend feststellen, um mehr als nur darum, Skandale, Einzelmaßnahmen und -gesetze anzugreifen. Denn wir haben es mit langfristig angelegten Strukturveränderungen im inneren Sicherheitsgefüge zu tun sowie mit einer Sicherheitskonzeption, die die staatliche Sicherheit zum Supergrundrecht erklärt, das die eigentlichen Grund- und Freiheitsrechte in den Schatten stellt.

Deshalb müssen wir auch die ideologische Feindbildproduktion, die Legitimationsbasis dieser Politik angreifen und es müssen endlich auch strukturelle Hindernisse gesetzt werden: Der „Verfassungsschutz“ läßt sich weder kontrollieren noch „reformieren“, sondern nur politisch bekämpfen. Denn er hat die politische Kultur in diesem Lande bereits wesentlich mehr vergiftet, als er vorgeblich der Verfassung und einer doch recht kümmerlichen Demokratie nützt. Es gibt meines Erachtens keine vernünftige Alternative zu der demokratischen Forderung nach baldiger Auflösung dieser dunklen Vereinigung, aber auch der anderen Geheimdienste sowie des nachrichtendienstlich arbeitenden Arms der Polizei.

 

Vorgänge 98, S. 1-3

 

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