Heute liegt auf den Schreibtischen der Abgeordneten des Innen- und Rechtsausschusses des Bundestags unsere Stellungnahme zur geplanten Reform des Verfassungsschutzes, verfasst vom Rechtsanwalt und früheren Bundesvorstand der Humanistischen Union, Dr. Till Müller-Heidelberg. Schon zum Referentenentwurf des Gesetzes hatten wir eine Stellungnahme vorgelegt. Nun hat sie Herr Müller-Heidelberg auf der Grundlage des aktuellen Gesetzesentwurfs ergänzt. Die Stellungnahme können Sie hier herunterladen.
Kritischster Punkt des geplantes Gesetzes ist neben der generellen Aufrüstung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit 270 neuen Stellen die Straffreihet für V-Leute und Verdeckte Ermittler. V-Leute sollen „szenetypische“ Straftaten begehen dürfen, das reicht nach der Gesetzesvorlage aber laut Till Müller-Heidelberg bis zu Delikten
„wie Nötigung, Körperverletzung, Erpressung, Drogen-handel, unerlaubter Waffenbesitz usw. [Sie] werden eben von Beteiligten zumindest an gewaltbereiten Bestrebungen und strafbaren Vereinigungen erwartet und sind somit „unumgänglich“ und damit nach dem Wortlaut des Gesetzesentwurfs erlaubt!“
„Was wirklich mit dem Gesetzentwurf beabsichtigt wird, nämlich eine Entgrenzung und nicht eine Begrenzung von Straftaten, wird deutlich in den letzten beiden Sätzen des vorgesehenen Absatzes 2: Danach soll nämlich im Grundsatz ein Einsatz unverzüglich beendet werden, wenn verdeckte Ermittler „rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben“. Jedoch: Über Ausnahmen entscheidet der Behördenleiter oder sein Vertreter. Also auch bei rechtswidrigen Straftaten von erheblicher Bedeutung soll der Behördenleiter oder sein Vertreter dennoch die Fortführung des Einsatzes des verdeckten Ermittlers (und folglich über § 9b Abs. 1 auch der V-Person – und somit z.B. auch die Bezahlung der Straftat) beschließen dürfen! Mit dem Verständnis als Rechtsstaat ist diese Regelung nicht vereinbar.“
Nicht nur der Behördenleiter darf die V-Person nach dem geplanten Gesetz vor Strafverfolgung schützen, auch die Staatsanwaltschaft kann großzügig von einer Anklage absehen:
„Nach dieser vorgesehenen neuen Vorschrift kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung „von im Einsatz begangenen Vergehen absehen, wenn 1. der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen erfolgte, die auf die Begehung von in § 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind (d.h. Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen, Volksverhetzung, Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme, Brandstiftung, Sprengstoffexplosion usw.) und 2. die Tat von an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wurde, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich war.“ Die Ziffer 2 ist, wie oben bereits dargelegt, praktisch immer gegeben, so dass nunmehr mit diesem Gesetzentwurf Straftaten von verdeckten Ermittlern und V-Leuten weitgehend straffrei gestellt werden sollen. Dies ist für einen Rechtsstaat schlicht unerträglich und muss ersatzlos gestrichen werden. Hiermit werden beamtete Straftäter legalisiert! Damit wird die freiheitliche demo-kratische Grundordnung des Rechtsstaates, die Verfassungsschutzbehörden doch schüt-zen sollen, in ihr Gegenteil pervertiert.“
Am 6. Mai wird sich der Innenausschuss des Bundestags zum ersten Mal mit dem Gesetzesentwurf beschäftigen. Ende Mai wird es wohl eine öffentliche Anhörung zu dem Thema geben, wie wir aus informieren Kreisen gehört haben. Die Bundesregierung möchte das Gesetz noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen.
Unter dem Motto #TäterVomDienst will die Kampagne ausgeschnüffelt der Humanistischen Union verhindern, dass die Straffreiheit von V-Leuten den Bundestag passiert. Deshalb werden wir insbesondere die SPD-Abgeordneten zu einem Umdenken in diesem Punkt auffordern. Im Anschreiben an die Abgeordneten fordern wir sie deshalb auf, uns ihre Meinung zur geplanten Straffreiheit für V-Leute mitzuteilen und bieten persönliche Gespräche zu dem Thema an. Auf die Reaktionen sind wir gespannt.
Außerdem fordern wir die Abgeordneten im Anschreiben dazu auf, den Gesetzentwurf angesichts der neuerlichen BND-Affäre auf Eis zu legen:
„Wir fordern Sie heute dazu auf, die Beratungen über diesen Gesetzentwurf auszusetzen. Angesichts der bereits jetzt im NSA-Untersuchungsausschuss sichtbar gewordenen Rechtsunsicherheiten, Rechtslücken und offenen Rechtsbrüche bei Erhebung, Nutzung und Weitergabe von Daten durch BND und Verfassungsschutz sendet der Gesetzentwurf die komplett verkehrte politische Botschaft aus. Statt einer neuerlichen Ausweitung der Befugnisse des Bundesamtes für Ver-fassungsschutz und der massenhaften Telekommunikationsüberwachung nach dem G10-Gesetz wäre es vorrangige Aufgabe des Gesetzgebers, die bisherigen Versäumnisse zu korrigieren, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen und den staatlichen Schutzauftrag für sichere Kommunikations-bedingungen in Deutschland ernst zu nehmen.“
Den vollständigen Brief an die Abgeordneten können Sie hier ansehen.