Das war ein heißes Protestwochenende für die Pressefreiheit: In Berlin demonstrierten spontan über 2500 Menschen für die Pressefreiheit und gegen die Ermittlungen wegen Landesverrat gegen Markus Beckedahl und André Meister von Netzpolitik.org. Auch Aktivist/innen von ausgeschnüffelt waren dabei. In weiteren deutschen Städten und auch vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gab es spontane Demos.
Geheimdienst oder Journalisten: Wer verrät das Land?
Der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Hans-Georg Maaßen, hatte beim Generalbundesanwalt Strafanzeige wegen Landesverrats gegen die Netzpolitik-Journalisten Markus Beckedahl und André Meister gestellt. Der Grund: Sie hätten Staatsgeheimnisse veröffentlicht. Gemeint sind die geleakten Dokumente über eine Ausweitung der Überwachung sozialer Medien durch den Verfassungsschutz, der zu diesem Zweck ein eigenes Referat eingerichtet habe (wir berichteten im Frühjahr darüber). Dass Geheimdienstchef Maaßen die Veröffentlichung dieser Dokumente als Landesverrat einstuft und Generalbundesanwalt Range dem auch noch nachgeht, offenbart ein gestörtes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Ein Geheimdienst sollte in einem demokratischen Rechtsstaat durch Politik und Öffentlichkeit kontrollierbar sein. Dafür müssen sowohl den parlamentarischen Kontrollgremien als auch der Öffentlichkeit Informationen über interne Entwicklungen, Haushaltszuschüsse und strategische Ausrichtungen im Geheimdienst geliefert werden. Dem Inlandsgeheimdienst sollte eine anlasslose Massenüberwachung, die das Ausspähen sozialer Netzwerke zweifelsohne mit sich bringt, nicht gestattet sein. Seine Aufgabe laut Verfassungsschutzgesetz ist das Sammeln und Auswerten von Informationen über „Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“. Eine anlasslose Massenüberwachung ist damit nicht gemeint und käme einem Landesverrat an der Bevölkerung gleich.
Regierung: gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit
Wie tagesschau.de gestern Abend berichtete, geschah die Einleitung von Ermittlungen gegen Netzpolitik unter den Augen verschiedener Regierungsstellen. An der kolossalen Fehleinschätzung des Landesverrats und dem Angriff auf die Pressefreiheit waren also nicht nur ein Geheimdienstchef beteiligt und ein Generalbundesanwalt, der sich in einem früheren Fall weigerte, wegen der NSA-Affäre Ermittlungen aufzunehmen. Nun ruht das Verfahren, bis das Justizministerium am Donnerstag eine Expertise vorlegt, die die Frage beantworten soll, ob es sich um Landesverrat handelt. Nachdem sich Justizminister Maas von Bundesanwalt Range distanziert hat, wird das Gutachten die Frage wohl verneinen.
In unserer heutigen Pressemitteilung meint der Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin:
„Es geht nicht um Landesverrat, sondern um die Einschüchterung kritischer Journalisten, die immer wieder das Versagen der Geheimdienste offengelegt haben. Informationen, auf die die Öffentlichkeit in der Demokratie einen Anspruch hat, sollen unterdrückt werden“.
Die Einleitung von Ermittlungen stehe in der anti-demokratischen Tradition der Spiegel- und Cicero-Affären (1962/2005). Koep-Kerstin weiter:
„Wir fordern zu weiterer öffentlicher Solidarisierung mit den Journalisten Andre Meister und Markus Beckedahl auf, denn noch sind Anzeige und Ermittlungen nicht vom Tisch. Sorgen wir dafür, dass – wie in der Spiegel-Affäre – die Verantwortlichen für diesen Missbrauch des Strafrechts zu politischen Zwecken ihren Hut nehmen müssen und wie im Fall Cicero die Verfassungswidrigkeit des durch den Generalbundesanwalt geplanten Eingriffs in die Pressefreiheit festgestellt wird.“
Was steckt hinter der Strafanzeige?
Warum hat der Inlandsgeheimdienst diese Strafzeige gestellt? Heribert Prantl von der Süddeutschen vermutet ein „martialisches, äffisches Machtgehabe“ des Geheimdienstes, um von seinen Unzulänglichkeiten abzulenken (Versagen bei der Spionageabwehr der NSA sowie beim rechten Naziterror des NSU) und um weitere Veröffentlichungen zu verhindern (SZ online vom 1. August). Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar vermutet wie Markus Kompa auf Telepolis ein bewusstes Spitzelspiel des Geheimdienstes hinter der öffentlich so schnell verurteilten Anzeige auf Landesverrat. Denn die Sicherheitsbehörden hätten mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen Landesverrats die Möglichkeit, hinter dem Rücken der Betroffen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit bei Netzpolitik Telefone und Räume abzuhorchen. Telekommunikationsunternehmen müssten Verkehrsdaten an die Polizei und an die Staatsanwaltschaften herausgeben. Diese Überwachungsmethoden bezögen sich nicht nur auf die zwei Angeklagten, sondern auch auf Dritte. Peter Schaar weiter:
„Journalisten, ihnen zugegangene oder selbst erarbeitete Unterlagen und ihre Quellen genießen ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 StPO). Entsprechende Unterlagen dürfen auch nicht beschlagnahmt werden (§ 97 Abs. 5 StPO). Der Schutz des Inhalts selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen entfällt jedoch bei besonders schweren Straftaten, zu denen auch der Landesverrat gehört (§ 53 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StPO).“
Daraus folgert Schaar:
„Wenn Journalisten und deren Informanten damit rechnen müssen, dass die eigens zu ihrem Schutz geschaffenen Vorschriften – Beschlagnahmeschutz, Zeugnisverweigerungsrechte – nicht mehr wirken, weil gegen die Journalisten selbst ermittelt wird, ist die Pressefreiheit in Gefahr.“
Markus Kompa von Telepolis fügt diesem Reigen aus Ermittlungsbefugnissen noch eines hinzu – die elektonische Überwachung und Datenspionage aufgrund der Vorratsdatenspeicherung:
„Nach aktueller Planung ermöglicht der Verdacht auf Katalogstraftaten den Zugriff auf Daten aus der *Trommelwirbel* Vorratsdatenspeicherung. Und in diesem Katalog findet sich in § 100a Abs. 2 Nr. 1 a) der *Trommelwirbel* Landesverrat (§ 94 StGB). Mit anderen Worten: netzpolitik.org darf seit Anzeigeerstattung auch nach offizieller Aktenlage elektronisch abgeleuchtet werden.“
Wenn dies das Ziel des Geheimdienstes war, die undichten Quellen für die Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten herauszufinden und diese Leute mundtot zu machen, dann ist er diesem Ziel inzwischen sicherlich ein ganzes Stück näher gekommen – ob die überzogene Anzeige gegen Netzpolitik nun in den nächsten Tagen fallen gelassen wird oder nicht.
Markus Beckedahl war heute selbst bei der Bundespressekonferenz und fragte, ob Netzpolitik überwacht werde:
Was kann ich selber tun?
Wenn Sie die Anzeige gegen Netzpolitik wütend macht und sie wie wir denken, dass wir den überflüssigen und gefährlichen Inlandsgeheimdienst dicht machen sollten, unterschreiben Sie unseren Aufruf: www.verfassung-schuetzen.de
Campact hat einen Appell zur Anzeige gegen Netzpolitik an die Kanzlerin und den Justizminister aufgesetzt, die Sie hier unterzeichnen können: www.campact.de.
Viele Menschen haben in den letzten Tagen an Netzpolitik.org gespendet, um deren journalistische Arbeit zu unterstützen und um sich an eventuellen Prozesskosten zu beteiligen: www.netzpolitik.org
Kommen Sie zur großen BND-an-die-Kette-Aktion, die wir mit vielen anderen Organisationen am Sa., den 5. September veranstalten. Wir fordern den Stopp der anlasslosen Massenüberwachung und die sofortige Aufklärung des BND-Skandals. Infos zur Aktion