Der Verfassungsschutzbericht: Ein Instrument zur Bekämpfung missliebiger Parteien

Mitteilungsblatt des Berliner Landesverban­des, wo es heißt: «Es gibt kein Recht auf Einwanderung. Nir­gendwo.» Hat man das nicht auch schon von den Herren Kohl, Kanther, Heckstein und Schily gehört? Zitate von diesen Herren fehlen allerdings. Bei den Republikanern jedoch heißt es dazu im Verfassungsschutzbericht: «Hier wird eine Auffassung of­fenbar, die zentralen Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie der Menschenwürde, der Gleichheit, der Toleranz und dem Minderheitenschutz, diametral entgegensteht.» Weiter wird (Seite 40f.) die Verfassungsfeindlichkeit der Republikaner «dokumentiert» mit deren Protest gegen «Über­fremdung durch Multikulti ». Auch das kann man durchaus in den als «staatstragend» geltenden Parteien hören.

«Insbesondere» – so geht es weiter – «in ihrer gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft gerichteten fremdenfeindlichen Agitation offenbart die Partei ein ausschließlich abstammungs­orientiertes und nicht politisch begründetes Verständnis des deutschen Staatsvolkes.» War dann das bis zum 1. Januar 2000 seit 87 Jahren geltende deutsche Staatsbürgergesetz, welches auf demselben Abstammungsrecht basierte, ein Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung? Und ist der Pro­test gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht bei den Republi­kanern ein Ausweis der Verfassungsfeindlichkeit, bei Roland Koch jedoch ein legitimes Mittel, um Ministerpräsident von Hessen zu werden?

Ebenso soll es verfassungsfeindlich sein, wenn der Berliner Landesvorsitzende der «republikanischen Jugend» ausführt: «Hier zeigt sich, dass die multikulturelle Gesellschaft in der Rea­lität eine multikriminelle Gesellschaft ist» (S. 41), und wenn in der Wochenzeitung der DVU die Schlagzeile erscheint: «Müssen wir kriminelle Ausländer dulden?» (S. 50). Dass der jahrelange oberste Dienstherr des Verfassungsschutzes, Bundesinnenminis­ter Kanther, ebenso wie sein bayrischer Kollege Beckstein jedes Jahr mit schöner Regelmäßigkeit bei Vorlage der Kriminalstatis­tik dasselbe erklärt hat, gilt offensichtlich als staatstragend.

Ein weiteres Merkmal der Verfassungsfeindlichkeit von REP, DVU und NPD liegt nach dem Bericht in der Diffamierung des demokratischen Rechtsstaates sowie seiner Institutionen und Repräsentanten, um deren Ansehen zu schmälern (S. 43). Belegt wird dies durch die Behauptung im Wahlprogramm der REP über «eine fortschreitende schleichende Außerkraftsetzung festgeschriebener Rechte des Grundgesetzes ». Was ist an einem solchen Satz verfassungsfeindlich angesichts von mittlerweile 46 Grundgesetzänderungen, darunter Änderung (fast immer Einschränkungen) der Grundrechte-Artikel 3, 9, 10, 11, 12, 12a, 13, 16, 16a, 17a, 18, 19?

Zu den angeführten Angriffen auf die Institutionen und Re­präsentanten der freiheitlichen Demokratie «in pauschaler, po­lemischer, diffamierender und verunglimpfender Weise» durch REP, NPD und DVU (S. 43, 53, 62) gehört unter anderem die Bezeichnung des Bundesaußenministers durch die Republika­ner als «selbst ernannter Reichskriegsminister». So etwas sei ein «für rechtsextreme antidemokratische Vereinigungen typi­sches Argumentationsmuster» (S. 48), ebenso wie der Vorwurf der Umerziehung nach 1945. Dass das Bundesverfassungsge­richt Polemik gerade im politischen Meinungskampf für zuläs­sig erklärt hat, bleibt unerwähnt. Verschwiegen und vergessen sind die pauschalen und polemischen Angriffe etwa auf die So­zialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die Kampagnen von Union und FDP gegen Rot-Grün-Bündnisse und die «Rote-Socken-Kampagne» gegen jede Form der Zusammenar­beit mit der PDS.

Ebenso wird der DVU (S. 54) als verfassungsfeindliche Dif­famierung vorgeworfen, dass sie «Unregelmäßigkeiten bei ein­zelnen Politikern verallgemeinert und ständig wiederholt, um den Eindruck zu erwecken, alle Politiker und Spitzenbeamten seien korrupt. So soll suggeriert werden, dass dieser Staat durch ein anderes System ersetzt werden müsse.» Dies wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem sich die Öffentlichkeit mit «schwarzen Kassen» der CDU beschäftigt und Altkanzler Kohl zugeben muss, vorsätzlich gegen Verfassung und Parteiengesetz verstoßen zu haben .. .

Dass alle drei Rechtsparteien REP, DVU und NPD sich gegen ein zentrales Holocaust-Mahnmal in Berlin aussprechen, mag man betrüblich finden – aber Mitglieder des Deutschen Bundestags taten das auch. Wo bleiben die Kriterien für einen Angriff auf Verfassungsgrundsätze?

Zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD wird zitiert (S. 58), dass sie «in Deutschland eine Wirtschaftsordnung errichten will, die das Recht auf Arbeit zur Pflicht erhebe sowie gleichen Lohn für gleiche Arbeit und soziale Sicherheit auf breiter Ebene garantiere». Darüber hinaus verstehe sie sich als sozial revolu­tionäre Erneuerungsbewegung, als Partei der neuen Ordnung und nationale Alternative für ein besseres Deutschland, sie wolle «auf den Trümmern des Liberalkapitalismus ein neues Deutschland errichten». Die von ihr erstrebte neue Ordnung mit dem Modell der Volksgemeinschaft «ist unmittelbar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet, in de­ren Mittelpunkt das Individuum steht» (S. 59). Dass das Bun­desverfassungsgericht solche Auffassungen für legitim erklärt hat, scheint der Verfassungsschutz bei der Beobachtung seiner Zielobjekte nicht beachten zu wollen.

Bei den angeblich linksextremistischen Parteien gibt es keine relevanten Belege. Bei der DKP muss der Hinweis reichen (S. 109), dass nach Aussage des Vorsitzenden die Partei «ihre ganze Tätigkeit auf der Grundlage der Theorien von Marx, En­gels und Lenin und deren schöpferische Anwendung auf die heutigen Bedingungen des Klassenkampfes gründet». Wenn derselbe Verfassungsschutzbericht sodann (auf S. 117) aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels zitiert, «die freie Entwicklung eines Jeden» sei «Bedingung der freien Ent­wicklung Aller », gilt dies als zulässig. Als konkrete – doch wohl verfassungsfeindliche – Aktionen der DKP werden dann ge­brandmarkt die Eröffnung einer Familienarztpraxis auf Kuba, errichtet durch 50 Parteimitglieder in Baubrigaden, vielfache Treffen mit anderen kommunistischen Parteien und schließlich der Protest gegen die «aggressive Nato-Intervention» in Jugo­slawien. Für den Verfassungsschutz gilt dies bereits als Hinweis auf  die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei — dass fast alle Völ­kerrechtler und der frühere Bundesverfassungsrichter Helmut Simon derselben Auffassung sind, ist offenbar irrelevant.

Bei der PDS schließlich beschränken sich die «Belege» der Verfassungsfeindlichkeit auf zwei Hinweise: Zum einen zeige diese Partei «keine ernsthaften Anzeichen dafür, ihr bislang zwiespältiges Verhältnis zum parlamentarischen System und zu wesentlichen Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu klären. […] Sie strebt nach wie vor eine al­ternative Gesellschaft an» (S. 115) und (noch schlimmer!): Der Parteivorsitzende Lothar Bisky habe mehrfach betont, dass die PDS sich zwar ändere, aber keine Sozialdemokratisierung stattfinde. Ganz wichtig für eine solche Form der «Verfassungs­feindlichkeit» sind die Ausführungen des Vorstandsmitgliedes Dieter Klein zum Kern der Programmdebatte: «Aber das eigentliche Problem ist, wie eine antikapitalistische, demokra­tisch-sozialistische Minderheitspartei außerparlamentarisch, als parlamentarische Opposition und selbst in Regierungsver­antwortung auf konstruktive Weise eine Gesellschaft mitgestal­ten kann, die doch eine unübersehbare, von ihr abgelehnte, von Großbanken und Konzernen bestimmte kapitalistische Grund­struktur hat» (S. 115).

Der zweite schwerwiegende Vorwurf — und «Beleg» für die Verfassungsfeindlichkeit — liegt darin, dass die PDS in ihren Reihen immer noch die extremistische «Kommunistische Plattform» dulde (2000 Mitglieder von insgesamt 94000 Mitglie­dern). Gibt es bei den Sozialdemokraten, den Grünen und bei den Christdemokraten nicht jeweils ebenso viele, die über eine andere Gesellschaft nachdenken?

Soeben hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht betont, dass allein schon die Beobachtung einer Partei durch die Verfassungsschutzbehörden schwerwiegende Nachteile mit sich bringt und einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Freiheitssphäre der Partei darstellt (Bundesver­waltungsgericht in Neue Juristische Wochenschrift 2000, 824). Das muss erst recht für Berichte gelten, in denen über politische Organisationen in der geschilderten Form berichtet wird.

Zum 50-jährigen Jubiläum des Bundesamtes für Verfassungs­schutz hat eine angesehene Kölner Zeitung diese Behörde als «Gesinnungs-TÜV» bezeichnet. Mein Bericht belegt, dass es dem Verfassungsschutz tatsächlich um Gesinnung geht. Alle Zi­tate sind (ebenso wie die parallelen Äußerungen aus dem Lager der etablierten Parteien) durch das Grundrecht der Meinungs­freiheit gedeckt. Mein Überblick zeigt für die Verfassungsschutzberichte, wie die Orientierung der Verfassungsschutzbehörden an Verfassung und Gesetz durch eine Praxis der einäugigen Ge­sinnungsüberprüfung ersetzt worden ist.

Es gibt einen Streit zwischen Kritikern der Verfassungs­schutzbehörden, den ich für irrelevant halte: Gibt es in den Behörden eine ausdrückliche Anordnung, Äußerungen aus den jeweiligen Regierungsparteien und den als «staatstragend» gel­tenden Oppositionsparteien nicht zu berücksichtigen, oder werden auch ohne eine solche Anweisung nur Äußerungen aus solchen Organisationen aufgegriffen, die bereits als «verfas­sungsfeindlich» rubriziert worden sind? Es ist unabhängig von dieser Frage an der Zeit, solcher Praxis der Gesinnungsüber­prüfung durch staatliche Instanzen ein Ende zu bereiten. Die Verfassungsschutzbehörden müssen endlich lernen bzw. von Politik und Justiz dazu gezwungen werden zu respektieren, dass die Meinungsfreiheit zu den grundlegenden Verfassungs­prinzipien einer freiheitlich demokratischen Grundordnung gehört. Die Freiheit darf nicht durch Behörden angetastet werden, sondern ausschließlich durch Gerichte nach Maßgabe des Strafgesetzbuches.

 

Grundrechte-Report 2001 , S.232-237

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