Nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler mußte Otto John als Bruder des beteiligten Hans John nach Portugal flüchten. Von hier aus siedelte er schließlich nach England über, wo er als Mitarbeiter im Ml 6 Public Branch in der Propagandaabteilung gegen das Nazi-Regime arbeitete. Nach der Kapitulation unterstützte er die britische Anklagebehörde bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg. Nachdem keine unbelasteten Kandidaten für das Amt des Präsidenten des BfV gefunden werden konnten, wurde Otto John zunächst als kommissarischer Leiter und ab 1951 zum Präsidenten des BfV berufen.
Wie jedes Jahr, so reiste Otto John auch 1954 zu den Gedenkfeierlichkeiten für die Opfer des 20. Juli nach Berlin. Nach den Trauerfeierlichkeiten traf sich Otto John mit seinem Freund Dr. Wohlgemuth am Abend in dessen Praxisräumen. Über die Frage, wie er von hier aus nach Ost-Berlin gekommen ist, gibt es seither verschiedene Interpretationen, die einerseits von einem freiwilligen Übertritt in die DDR sprechen und andererseits eine gewaltsame Entführung unter Einsatz von Drogen für möglich halten. Die These von einem freiwilligen Übertritt erhielt zusätzlichen Nährstoff durch eine Rundfunkansprache vom 22. Juli 1954 im (Ost-) Berliner Rundfunk.
Eine eindeutige Klärung dieser Vorfälle konnte bis heute nicht geleistet werden. Auch der neun Monate später eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuß (BT-Drucksache II/3728) konnte die Umstände der Flucht nicht weiter aufklären.
Am 11. Dezember 1955 kehrte Otto John im Auto des Journalisten Henrik Bonde Henriksen nach West-Berlin zurück. Neben dem dänischen Journalisten war auch das LfV Berlin an der Rückflucht von Otto John beteiligt (vgl. Spiegel Nr. 3, S. 1, 1956). Ein Jahr später wurde der Prozeß wegen Landesverrat, verfassungsverräterische Konspiration vor dem Dritten Senat des BGH in Karlsruhe eröffnet. Im Laufe dieses Prozesses wurde bekannt, daß Otto John während seiner Amtszeit von Bundeskanzier Adenauer beauftragt worden war, Bundesminister Kaiser zu observieren, da dieser nach Ansicht Adenauers in Verdacht stand, die DDR mit geheimen Materialien zu versorgen.
Ende 1956 wurde Otto John zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er „unter anderem Tatsachen behauptet hatte, die falsch waren, die aber, wenn sie wahr gewesen wären, als Geheimnisse, und zwar als Staatsgeheimnisse hätten angesehen werden müssen.“ Eine Revision wurde nicht zugelassen. 1958 wurde ein Gnadengesuch unter der Auflage gewährt, daß Otto John bis zum Abschluß des Verfahrens gegen Dr. Wohlgemuth, der inzwischen ebenfalls in den Westen zurückgekehrt war, sich nicht publizistisch zu seinem Verfahren äussern dürfe. Seine Wiederaufnahmebemühungen um ein neues Verfahren, verliefen bis heute ergebnislos, einzig seine Pensionsansprüche wurden ihm 1986 wieder zuerkannt.
Dieser Chronik-Eintrag wurde der Zeitschrift CILIP – Bürgerrechte und Polizei Nr. 28 (Heft 3/1987) entnommen. Mit herzlichem Dank an die Herausgeber.