Verfassungswidriger Verfassungsschutz

Till Müller-Heidelberg

 

Seit fast 30 Jahren steht der anerkannte Experte für Polizei-und Geheimdienstfragen, der Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner, unter geheimdienstlicher Beobachtung des Ver­fassungsschutzes! Und dies, obwohl man – auch ohne Mithilfe des Verfassungsschutzes – seine polizei- und geheimdienstkriti­schen Bücher in jeder Buchhandlung kaufen, seine publizisti­schen Beiträge in den meisten frei zugänglichen Zeitungen lesen und ihn als Sachverständigen bei Anhörungen des Bun­destages oder der Landtage oder als Diskussionsteilnehmer auf Podien, etwa mit dem hessischen Verfassungsschutzpräsiden­ten, in aller Öffentlichkeit erleben kann. Wieso darf der Verfas­sungsschutz einen solchen Bürger zum Objekt seiner Beobach­tung machen?

Nach § 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungs­schutzgesetze sammeln die Verfassungsschutzbehörden «sach- ­und personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen… u. a. für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind ». Und wenn es im Einzelfall «tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten» gibt, dürfen auch nachrichtendienstliche Mittel zur heimlichen Informati­onsbeschaffung benutzt werden, etwa Einsatz von V-Leuten, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere usw.

Betreibt nun Dr. Gössner Bestrebungen, die gegen die frei­heitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind? Nein, dies behauptet trotz fast 30-jähriger Beobachtung nicht einmal das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dennoch bestätigt es auf Auskunftsersuchen von Rolf Gössner ausführlich seine Beob­achtung, zuletzt mit Schreiben vom 20. November 1998, und äußert in diesem Schreiben auch noch seine Überzeugung, dass er «die Rechtmäßigkeit der Datenspeicherungen zu seiner Per­son aufgrund der ihm mitgeteilten Erkenntnisse und insbeson­dere seiner juristischen Spezialkenntnisse, die er durch seine langjährige Befassung mit den Nachrichtendiensten und ihren gesetzlichen Grundlagen erworben haben dürfte, nachvollziehen könne»! Und hatte schon die frühere Bundesregierung aufgrund einer kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 19. Juni 1997 diese Überwachung für rechtmäßig erklärt, so gedenkt auch die neue rot-grüne Bundesregierung, die doch mit dem Anspruch der Wahrung der Bürgerrechte und der Kontrolle der Geheimdienste angetreten ist, hieran nichts zu ändern, wie sie durch Schreiben des zuständigen Ministe­rialdirektors im Bundesministerium des Innern vom 5. März 1999 mitteilt.

Dass Rolf Gössner verfassungsfeindliche oder gar verfas­sungswidrige Bestrebungen hat, wagt niemand zu behaupten. Und selbstverständlich darf er seine kritischen Auffassungen auch ohne Überwachung durch den Verfassungsschutz etwa in der Frankfurter Rundschau oder in der tageszeitung veröffent­lichen — keinesfalls aber in den Blättern für deutsche und inter­nationale Politik, in Demokratie und Recht, Unsere Zeit, Ge­heim, im Schwarz-Braun-Buch der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), und er darf bei Strafe der Beobachtung und Erfassung durch den Ver­fassungsschutz auch keinen Beitrag schreiben in der Broschüre 10 Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung, wenn diese Broschüre von der Roten Hilfe herausgegeben wird. Selbstver­ständlich darf Gössner als Autor zahlreicher Bücher auch Autorenlesungen veranstalten — aber bitte nicht in der Stadtbi­bliothek Bremen, wenn diese nicht Alleinveranstalterin, son­dern die Autorenlesung gemeinsam mit der WN-BdA organi­siert ist.

 

 

Die Kontaktschuld

 

In jahrzehntelanger rechtspolitischer Diskussion ist mit den heute gültigen Verfassungsschutzgesetzen versucht worden, der Beobachtungs- und Sammelwut der Verfassungsschutzbehör­den durch halbwegs klare Definitionen dessen, was sie beobach­ten sollen, eine Grenze zu setzen. Die These, dass Geheimdienst­organisationen sich nicht wirksam kontrollieren lassen, wird bestätigt: Wenn sich gegen eine Person oder Organisation, die man beobachten möchte, nichts Verfassungsfeindliches finden lässt, dann muss die «Kontaktschuld» her. Das heißt: Wer als «verfassungstreuer» Bürger sich in Kontakt zu Organisationen begibt, die der Verfassungsschutz für extremistisch hält bzw. bei denen der Verfassungsschutz auch nur davon ausgeht, dass sie «linksextremistisch beeinflusste Personenzusammenschlüsse sowie deren Presseerzeugnisse» seien (so die Auskunft des Bun­desamtes für Verfassungsschutz vom 20. Oktober 1998), der ist selbst schuld und wird Gegenstand geheimdienstlicher Beobach­tung! Der für eine Demokratie unerlässliche Dialog zwischen al­len an der politischen Meinungsbildung mitwirkenden Personen und Organisationen wird somit unter den Vorbehalt des Verfas­sungsschutzes gestellt.

Dies gilt im Übrigen nicht nur für Rolf Gössner. «Kontaktschuld» reicht auch bei politischen Parteien, bei denen man sonst keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen feststellen kann, zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit nach­richtendienstlichen Mitteln. Wie das OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 22. Juni 1999 feststellte, waren bei der Pfalzpar­tei zwar keine Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestre­bungen ersichtlich. Möglicherweise jedoch (Beweise wurden seitens des Verfassungsschutzes im Eilverfahren nicht erbracht, lediglich Behauptungen aufgestellt, die von der Pfalzpartei be­stritten wurden) gab es aber « Querverbindungen» zum Lan­desverband der NPD, und diese seien nach Auffassung des OVG ausreichend für eine Beobachtung der Partei mit nach­richtendienstlichen Mitteln – obwohl auch nach Auffassung des OVG dies für die Partei «faktisch mit erheblichen Nachteilen verbunden» ist. Das aber habe die Partei, die einen solchen Kontakt pflege, selbst zu vertreten.

Widersprüchliche Gerichtsentscheidungen

 

Insgesamt gleichen die gerichtlichen Bemühungen, Verfassungs­schutzbeobachtungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln rechtsstaatlich einzugrenzen, der «Echternacher Springprozes­sion »: Zwei Schritte vor, einen Schritt zurück. In drei Fällen be­reits haben Verwaltungsgerichte die Beobachtung der Partei Die Republikaner mit nachrichtendienstlichen Mitteln für rechtswidrig erklärt, weil Voraussetzung nach den gesetzlichen Be­stimmungen hierfür wäre, dass die Republikaner eine Bestre­bung darstellen, «die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet» ist. Ausführlich haben das Verwal­tungsgericht Hannover, das Verwaltungsgericht Mainz und zuletzt das Verwaltungsgericht Berlin mit Urteil vom 21. August 1998 festgestellt, dass weder im Parteiprogramm noch in Flugblättern, Presseerklärungen oder Reden von führenden Funk­tionären Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unserer Verfassung gefunden werden können. Die Thesen etwa zur Ausländerfeindlichkeit, zum Rassismus, zum Volksbegriff oder auch zu Asylbewerbern mögen zwar ab­zulehnen, ja gar schändlich sein, sie liegen aber im Rahmen der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit und des in der Demokratie erforderlichen politischen Meinungskampfes – und sie finden sich (leider!) ebenso in Äußerungen führender Vertreter der «etablierten Altparteien». Es ist eben in einer De­mokratie zulässig, etwa auch die Änderung von Grundrechten bis zur Unkenntlichkeit (vgl. den « Asylkompromiss» durch CDU, SPD und FDP) zu fordern. Das Verwaltungsgericht Mainz hat hierzu zu Recht ausgeführt, dass nach Artikel 21 des Grundgesetzes die politischen Parteien an der politischen Wil­lensbildung des Volkes mitwirken und dass «diese den Parteien durch das Grundgesetz zugewiesene Aufgabe … als eine we­sensgemäß <politische Aufgabe> prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen (verträgt), wenn sie nicht inhaltlich ausge­höhlt werden soll ».

Das OVG Lüneburg hat leider die Entscheidung des Verwal­tungsgerichts Hannover aufgehoben, das OVG Rheinland-Pfalz jüngst diejenige des VG Mainz. Die Verfahren sind beim BVerwG anhängig, das Berliner Urteil beim dortigen OVG. Sollte es so sein, dass erstinstanzliche Verwaltungsrichter in Deutschland mittlerweile genügend rechtsstaatliche Sensibilität für die Bedeutung des politischen Meinungskampfes entwickelt haben und Obergerichte meinen, «den Staat » vor Kritikern und missliebigen Organisationen schützen zu müssen? Da allein schon das Bekanntwerden der Beobachtung durch den Verfas­sungsschutz massive Nachteile für die Person oder die Organi­sation mit sich bringt, wie unter anderem das OVG Rheinland-Pfalz mehrfach festgestellt hat, hat « die Durchleuchtung einer politischen Partei durch einen Nachrichtendienst daher in einer rechtsstaatlichen Demokratie die Ausnahme zu sein, die sich nur aus greifbaren und schwer wiegenden Anhaltspunkten dafür rechtfertigt, dass gerade die … freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Partei gefährdet ist. Einzelne Ver­dachtsmomente minderen Gewichts reichen insoweit nicht aus, um die gleichsam vorbeugende Beobachtung einer politischen Partei durch den Staat unter Inkaufnahme der dargelegten nachteiligen Auswirkungen zu rechtfertigen» (VG Berlin, NJW 1999, S. 807).

 

Grundrechte-Report 2000 , S. 172 – 177

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