Der Verfassungsschutz tritt seit einigen Jahren vermehrt an Schulen auf, um Jugendliche über die Gefahren des politischen Extremismus aufzuklären, indem er Vorträge hält und Informationsveranstaltungen gibt. Das Infomaterial besteht dabei u.a. aus einer Comic-Reihe über Extremismus (CoDeX – Comic für Demokratie und gegen Extremismus). Diese wird redaktionell vom Verfassungsschutz Nordrhein Westfalen erstellt und herausgegeben vom Bundesministerium für Familie und Jugend Berlin. In den Comics erlebt die Figur des „Andi“ Begegnungen mit Extremisten in seinem Schulalltag, darunter sind Linksextremisten, Rechtsextremisten und Islamextremisten. Die Aufklärung fällt hierbei zumeist sehr pauschalisiert aus.
Insbesondere bei der Definition von Linksextremismus als gefährliche politische Einstellung gelingt dem Verfassungsschutz nicht ganz die lückenlose Abgrenzung zur linken politischen Einstellung. Links und extremistisch scheinen definitorisch eng miteinander verbunden zu sein. Die Unterscheidung wird hierbei durch den Zusatz des Wortes „demokratisch“ getroffen: „Eine demokratische Linke verfolgt ein Leitbild, das die sozialistischen Grundwerte auf freiheitlich-demokratischen Wege, das heißt durch Reform und Demokratisierung, zu verwirklichen sucht. Linksextremisten streben die Überwindung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland an.“
So weit so gut, aber heißt das, dass Akteure im nicht offiziell politischen Raum in ihrer Meinungsäußerung durch Demonstrationen o.ä. gleich zu Radikalen oder Extremisten werden? So wird auch die antifaschistische Einstellung in dem Comic als radikal und inhaltslos bagatellisiert: „In diesem Sinne beteiligen sich Antifaschisten oft an Demonstrationen gegen Rechtsextremisten oder veranstalten diese selbst, nicht um die bestehende demokratische Ordnung zu stärken – sondern um beweisen, dass ihre Ideen besser als die jetzige Staats- und Wirtschaftsform sind.“
Besonders schockierend ist aber die Tatsache, dass der Verfassungsschutz sich in seinem Aufklärer-Comic zu Rechtsextremismus selbst diskriminierender Klischees bedient. So muss „Ayshe“ in der Geschichte erst zuhause nachfragen, ob sie ausgehen darf und „Murat“ stimmt den Nazis in ihrer frauenfeindlichen Einstellung zu. Auch die bildhafte Darstellung von ethnischen Unterschieden ist deutlich überzeichnet und hart an der Grenze zum Rassismus.
In dem Comic zum Islamextremismus erwähnt der Verfassungsschutz, dass weniger als ein Prozent der in Deutschland lebenden Muslime einer extremistischen islamistischen Organisation zugerechnet werden. Gut, dass es dann trotzdem diesen Comic gibt – bei einer solch akuten und übermächtigen Bedrohung. Gut ist auch, dass der Verfassungsschutz dann nochmal erwähnt, dass Muslime nur ganz normale Menschen sind: „Muslime haben allgemein die gleichen Interessen, Hoffnungen und Erwartungen in ihrem Leben wie alle anderen Menschen auch. Sie möchten in erster Linie Zufriedenheit, Gesundheit und Glück für sich und ihre Familien. Sie sind Nachbarn, Kollegen, Sportsfreunde, Ehemänner und -frauen in unserem Land.“
Interessant wird es, als der Inlandsgeheimdienst sich unabsichtlich selbst diskreditiert, indem er aussagt, dass rechtsextremistische Strömungen Moscheen als „Ort einer verfassungsfeindlichen Parallelgesellschaft“ oder „Rekrutierungszentrum für islamistische Terroristen“ betrachten. Dies ist insofern unterhaltsam, da der Verfassungsschutz Niedersachsen selbst jahrelang zu Unrecht Daten von knapp 100 Muslima gespeichert hatte, nur weil diese regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee gingen.
Wir fordern im Rahmen unserer Kampagne das Verbot der Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes an Schulen!
Zum Weiterlesen:
Verfassungsschutz durch Aufklärung? Ein Artikel von Gregor Wiedemann
Schulverweis für Andi! Ein Buch vom Arbeitskreis Extremismusbegriff
Hmm, von 100 Millionen ist in dem verlinkten Bericht nichts zu lesen. Lediglich knapp Hundert sollen vom Verfassungsschutz Niedersachsen überwacht worden sein.
Lieber Jörg, vielen Dank fürs aufmerksame Lesen. Da ist uns ein Fehler unterlaufen. Natürlich waren es „nur“ knapp 100 überwachte Muslima, die in Niedersachsen nur überwacht wurden, weil sie zum Freitagsgebet gingen, und damit 100 zu viel.