Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen? Konsequenzen aus NSU-Morden!

Heute morgen forderten wir von der Kampagne „Verfassungsschutz abschaffen!“ vor dem Bundestag weiter reichende politische Konsequenzen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss ein, als sie im Plenum des Bundestages kurz darauf verhandelt wurden: Bekämpfung des Rassismus auch in der Mitte der Gesellschaft, Kontrolle der Polizei und Auflösung der Verfassungsschutzämter. Das Plenum debattierte über einen interfraktionellen Antrag zu den Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss und stimmte über diesen ab.

Früher Morgen vor dem Bundestag: ein geschäftiges Grüppchen von Aktivisten hat sich vor der Reichstagskuppel zusammengefunden, stellt Plakate auf, rückt die Politikermasken zurecht und macht den Mikrotest mit ein paar Slogans. Da kommt auch schon das Filmteam des ARD-Hauptstadtstudio über den Platz, mit ein paar weiteren Journalisten im Schlepptau. Es kann losgehen.

Wir alle stehen hier am frühen Morgen, weil als erster, großer Punkt auf der Tagesordnung des Parlaments heute die Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss stehen. Die NSU-Morde haben die Bundesrepublik erschüttert. Jetzt ist alles so weit aufgearbeitet, dass politische Konsequenzen aus dem jahrzehntelang unentdeckten Morden des rechtsradikalen Trios und ihrer Unterstützer*innen gezogen werden könnten. Aber nichts dergleichen! Die schwarz-rote Regierung will die Kompetenzen des Verfassungsschutzes trotz seines eklatanten Versagens ausweiten. Dabei müsste der Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen endlich abgeschafft werden. In der Polizei soll mehr „Vielfalt“ und eine „Fehlerkultur“ gefördert werden. Das ist zu wenig. Der institutionelle Rassismus muss hier unter die Lupe genommen werden, den sogar der UN-Menschenrechtsrat an Deutschland bemängelt. Es soll etwas mehr Bundesmittel für mobile Beratungsteams für Opfer rechter Gewalt geben. Mehr Geld ist gut. Aber viel mehr ist nötig: Die Diskriminierung z.B. durch Verfassungsschutzbehörden von antirassistischen Initiativen muss ein Ende haben. Und wenn Rund die Häfte aller Deutschen bei Umfragen zustimmt, dass es „in Deutschland zu viele Ausländer gebe“, dann muss auch der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft in den Fokus genommen werden.

Nichts sehen – nichts hören – nichts sagen. Endlich Konsequenzen aus der NSU-Mordserie ziehen from Anna Kampa on Vimeo.

Der Vorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin, bekräftigt dies in seiner Rede: „Die heute verabschiedeten Empfehlungen enthalten keinerlei Vorschlag dafür, wie das Problem der strukturellen Blindheit gegenüber rassistischen Taten und Motiven gelöst werden soll. Das Opfer zu Tätern gemacht wurden, hat gerade viele ausländische Beobachter verunsichert, wie die Anhörung zu Deutschland im UN-Menschenrechtsrat gezeigt hat.
Und es gibt weitere Lücken: Inzwischen wissen wir, wie viele V-Leute des Verfassungsschutzes und der Polizei sich im Umfeld des NSU-Trios tummelten. Dennoch soll weiterhin am V-Mann-Unwesen festgehalten werden. Solche V-Leute im Neonazi-Milieu sind „staatlich alimentierte Nazi-Aktivisten“ (Rolf Goessner), die bestehende Neonazi-Strukturen finanzieren und stützen oder gar neue Neonazi-Gruppierungen gründen, wie es der Verfassungsschutz in Thüringen mit dem „Thüringer Heimatschutz“ betrieben hat. Wenn der Verfassungsschutz von den Neonazi-Morden wirklich nichts gehört und gesehen hat, dann ist er überflüssig. Und wenn er nichts hören und sehen wollte, dann ist er eine Gefahr für die Verfassung. Und wenn er gefährlich ist, wie seine lange Skandalgeschichte zeigt, dann muß man nicht nur seine V-Leute abschalten, sondern den ganzen Verfassungsschutz (so auch Heribert Prantl).“

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Ich lese aus dem Antrag zu den Schlussfolgerungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss vor. Dort heißt es, dass «die Gefahr des Rechtsterrorismus völlig falsch eingeschätzt» wurde. Der Antrag stellt dem Verfassungsschutz ein Armutszeugnis aus: schwere Defizite bei der Informationsübermittlung, völlig unzureichende Informationsgewinnung und -bewertung. Unsere Schlussfolgerung dazu skandieren wir laut im Chor: „Verfassungsschutz, weiß jedes Kind, ist auf dem rechten Auge blind!“

Zum Abschluss berichtet Martin von der Initiative #vsgeschichten, die er selbst mit Freunden ins Leben gerufen hat, als sie Anträge auf Datenauskunft stellten. Denn überrascht mussten sie feststellen, dass einige von ihnen selbst ins Visier des Verfassungsschutz geraten waren, obwohl sie noch nie darüber nachgedacht hatten, politische Gewalttaten zu begehen oder die Demokratie anzugreifen. Warum Menschen in den Akten des Verfassungsschutzes landen, weil sie ihr Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit nutzen und damit unsere Demokratie stärken, wohingegen tatsächlich gefährliche Attentäter*innen über zehn Jahre lang im Untergrund morden ohne vom Verfassungsschutz enttarnt zu werden, bleibt ein Rätsel und ein Grund, die Kampagne „Verfassungsschutz abschaffen!“ mit aller Kraft weiter zu führen.

Die nächste Aktion wird voraussichtlich am 12.3. in München stattfinden, wenn der hessische Verfassungsschutz beim NSU-Prozess aussagen muss. Nebenklägervertreter und Angehörige der Ermordeten haben vor wenigen Tagen zwei Jahre nach Merkels Versprechen nach einer lückenlosen Aufklärung der Morde eine ernüchternde Bilanz gezogen: In einem offenen Brief beklagen sie „das große Abhaken“ der Bundesregierung, die die rechtlichen und politischen Möglichkeiten nicht Ausschöpfen würde. Wir werden bei der Aufklärung der NSU-Morde nicht locker lassen.

Vielen Dank an alle, die mitgemacht haben!

Unterzeichnen Sie unseren Aufruf zur Auflösung der Verfassungsschutzämter!
Rede des HU-Vorsitzenden Werner Koep-Kerstin
Bericht des Humanistischen Pressedienstes
Pressemitteilung der HU zur Aktion
Antrag auf Datenauskunft stellen bei #vsgeschichten
Offener Brief der NSU-Anwälte

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